Ernährung von Menschen mit Demenz in Pflegeeinrichtungen
Häufig beobachtet man in den Pflegeheimen, dass zu den Mahlzeiten alle Bewohner in einem großen Raum oder Speisesaal gebracht werden. Oft ist es dort sehr unruhig und die vielen Geräusche lenken die Bewohner vom Essen ab. Doch damit „Ernährung“ von Menschen mit Demenz in Pflegeeinrichtungen gelingen kann ist das oberste Prinzip:
familiäre stressfreie Umgebung
Bereiten sie gemeinsam mit den Bewohnern die Mahlzeiten in einer Wohnküche zu. Speisen sie mit ihm gemeinsam an einem großen Tisch, nett dekoriert, in ruhiger Umgebung (Chang und Roberts, 2011). So wäre es ideal. Mahlzeiten stellen im Alltag ein wichtiges Ereignis dar. Sie strukturieren den Tag, man kommt ins Gespräch und sie nähren die Lebensfreude, durch den Geruch und Geschmack von gutem Essen. Einen guten Ernährungszustand erreicht man nicht durch unnötige Kalorienanaylsen, Pflegeplanungen oder täglichen Gewichtsmessungen. Die Atmosphäre und der Geschmack (nicht die Inhaltsstoffe) sind entscheidend, wenn „Ernährungsmanagement“ bei Menschen mit Demenz gelingen soll.
Aufsichtsbehörden und selbsternannte „Qualitätsgurus“ verlangen oft unreflektiert Maßnahmen, die realitätsfremde „Wissenschaftler“ einmal niedergeschrieben haben. Wie in dem Film „Oh good, lunch is coming!“ gezeigt wird, macht es wenig Sinn Speisepläne (Schriftgröße Arial 14 rollstuhlgerecht aufgehängt; Kriterium Pflege-TÜV) auszuhängen, wenn der Bewohner am nächsten Tag vergessen hat, was angekreuzt wurde. Viel wichtiger ist es, dass der Bewohner aktuell auswählen kann auf was er gerade Lust hat. Es wird auch immer wieder erzählt, dass Bewohner mit Demenz in der Nacht aufgeweckt werden sollen, weil sie dann etwas Essen müssen. Der Abstand zwischen Abendessen und Frühstück darf nicht zu lange sein. Dies wäre wissenschaftlich belegt. Es ist nicht wissenschaftlich belegt, sondern einfach nur dämlich. Der Hintergrund dieser Idee war einst, dass wenn ein Bewohner mit Demenz in der Nacht nicht schlafen kann, es sein kann, dass er Hunger hat. Es gibt jedoch noch viele andere Möglichkeiten, die einen Bewohner mit Demenz in der Nacht vom Schlafen abhalten. Da hilft es nichts, wenn der Bewohner mit Demenz geweckt und abgefüllt wird. Dies nur zwei von unerklärlichen Mythen die unter Fachkräften kursieren.
„Ernährungsmanagement“
Dokumentation ist wichtig, doch sollte sie sinnvoll sein und bei der täglichen Arbeit unterstützen. Und die Dokumentation sollte die Kriterien des Expertenstandards erfüllen, damit Aufsichtsbehörden nichts zu bemängeln haben. Somit ist es ratsam bei einem Bewohner, sobald er in die Pflegeeinrichtung einzieht, ein Ernährungs-Screening durchzuführen. Ernährungs-Screening bedeutet: Ich will möglichst schnell und unkompliziert herausfinden, hat der Bewohner eine Mangelernährung, bzw. ein Ernährungsproblem oder nicht? Das Screening ist deswegen wichtig, weil nur bei Bewohnern mit einem Ernährungsproblem müsse weitere Maßnahmen, wie eine Anamnese, erfolgen. Doch was ist der Unterschied zwischen Mangelernährung, Ernährungsproblem oder Ernährungsrisiko? Für Pflegekräfte reicht der Begriff „Ernährungsproblem“ völlig aus, denn selbst der Begriff Mangelernährung ist in der Wissenschaft nicht exakt definiert. Ein Screeening soll nur jene Bewohner mit einem Ernährungsproblem filtern, die auch durch medizinische und/oder pflegerische Maßnahmen positiv beeinflussbar sind. Ein Ernährungsproblem liegt grundsätzlich dann vor, wenn der Bewohner zu wenig isst und dadurch ungewollt an Körpergewicht verliert. Wichtig ist: Nicht jede Mangelernährung (Ernährungsproblem) ist eine Folge von schlechter Pflege. Manche „Mangelernährung“ ist eine Folge chronischer Erkrankungen und kann nur durch komplexe, meist medizinische Therapien, noch positiv beeinflusst werden oder man berücksichtige auch die sterbenden Menschen, für die Ernährungsnormen keine Bedeutung mehr haben. Bewohner mit einem Ernährungsproblem sollen also im Screening erkannt werden und entsprechende Behandlungspläne nach einer Ursachenanalyse (Assessment) für sie entwickelt werden. Für alle anderen Bewohner gilt: Essen was Spass macht und genügend Pflegepersonal, dass dem Bewohner unterstützen kann, wenn dieser auf Hilfe angewiesen ist. Eine Mahlzeit bei fortgeschrittener Demenz kann im Schnitt bis zu 35 bis 40 Minuten dauern (Simmons und Schnelle 2006).
Zurück zum Screening: Grundsätzlich empfiehlt es sich zumindest bei Einzug des Bewohners ein standardisiertes Screening-Instrument zu verwenden, wie z.B. PEMU oder der MNA-SF. Dass der BMI (Body-Mass-Index) als alleiniges Kriterium für die Einschätzung des Ernährungszustandes bei Senioren nicht geeignet, bzw. obsolet ist, sollte sich inzwischen bei allen Pflegefachkräften herumgesprochen haben, ebenso wie der Begriff: „niedriger, biografisch begründbarer BMI“. Im Verlauf, so steht es leider nicht in vielen Lehrbüchern, reicht in der Regel eine regelmäßige (der Expertenstandard empfiehlt Intervalle bis zu 3 Monate) Gewichtskontrolle. Bei Wassereinlagerungen (Ödemen) muss meist ein Ernährungsprotokoll über drei Tage erstellt werden, wenn der Gewichtsverlauf durch das eingelagerte Wasser verfälscht wird .
In meinem Buch „Ernährungsmanagement in Pflegeeinrichtungen“ erkläre ich im Detail, wie ein sinnvolles und behördenzufriedenstellendes Ernährungsmanagement gelingen kann. Dem Buch liegt ein Poster bei, auf dem der gesamte Ablauf im Überblick dargestellt wird.
Grundsätzlich muss kein Bewohner gewogen werden, wenn er es ablehnt. Es gibt in Deutschland keine Verpflichtung sich regelmäßig zu wiegen, dies wäre institutioneller Zwang. Man darf selbstverständlich darüber diskutieren, ob eine Gewichtskontrolle als wenig belastende Maßnahme nicht doch generell akzeptiert werden sollte, besonders wenn Bewohner, die auf unsere Fürsorge angewiesen sind, vor einem ungewollten Gewichtsverlust geschützt werden sollen. Doch spätestens dann, wenn Bewohner, die kaum noch gehen können, mit Kontrakturen im Bett liegen, zum Teil mit Gewalt in Hängewagen genötigt werden (wie im „Fall Fulda“ geschehen; Folge: Oberarmfraktur), halte ich dies für menschenunwürdig. Wenn Aufsichtsbehörden solche Maßnahmen wünschen sollten diese nicht folgsam umgesetzt werden, sondern zum Wohle des Bewohners vehement an den gesunden Menschenverstand des Gutachters appelliert werden.
Milieugestaltung
Auch wenn immer noch unklar ist, warum Menschen mit Demenz im Verlauf häufig an Gewicht verlieren, zeigen Studien und Berichte aus Pflegeheimen, dass dies nicht zwangsläufig so sein muss.
Alleine durch das passende Speisen und Getränkeangebot kann schon viel erreicht werden, damit Bewohner mit Demenz nicht an Körpergewicht verlieren und möglichst lange selbständig bleiben (Biernacki und Barret, 2002):
- Konsistenzänderungen für dysphagische Patienten
- „Finger Food“
- Einführung von Snacks zwischen den Hauptmahlzeiten
- Verminderung der Gewichtung der drei Hauptmahlzeiten
- Weniger „gesundes“ Essen statt dessen verstärktes Angebot von vertrauten und gewünschten Speisen
So hat eine Studie gezeigt, dass schon alleine die Verwendung von roten Tellern und Trinkbechern (wobei es nicht so scheint, dass die Farbe „Rot“ entscheidend ist sondern die kontrastreiche Präsentation), die Speisen und Getränke von den Menschen mit Demenz besser erkannt werden und sie somit mehr gegessen und getrunken haben (Dunne et al, 2004).
Ein weiteres Problem sind sehr unruhig Bewohner, die sich auch sehr schnell ablenken lassen. Sie haben zwei Probleme:
- Sie bleiben meist beim Tisch nicht sitzen und lassen das Essen stehen
- Sie verbrauchen mehr Kalorien
Für diese Personen ist es meist besser, wenn sie gemeinsam mit einer Pflegeperson (max. noch ein zweiter Bewohner) in einem ruhigen Zimmer separiert die Mahlzeit einnehmen. Zusätzlich kann man über den Tag verteilt Ess-Oasen aufstellen oder Snacks bereitlegen, wo der Bewohner nebenbei selbständig zugreifen kann, wie es in dem Film gezeigt wird:
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Grundsätzlich gibt es eine Vielzahl von möglichen Ursachen, warum Menschen mit Demenz zu wenig essen und trinken. Fühlt sich ein Bewohner zuhause und es begegnen ihm Menschen die ihn als Person wahrnehmen, schätzen und ihn seiner Welt liebevoll begleiten, wird es auch meist gelingen, dass die Person mit Demenz ausreichend isst und trinkt, meist bis zum Lebensende. Eine künstliche Ernährung ist nur dann eine Möglichkeit, wenn alle anderen Möglichkeiten ausgeschöpft wurden und vernünftige Ziele für den Bewohner erreicht werden könne (Medizinische Indikation).
Wie ein Mensch sich durch Zuwendung verändern kann, zeigen die Ausschnitte aus einem Lehrfilm zum Umgang mit PEG-Sonden bei Demenzkranken am Beispiel von „Mr. Brown“. Er blüht regelrecht auf nachdem man versucht hat ihn wieder auf orale Ernährung „umzustellen“. Die Maßnahmen sind relativ leicht umzusetzen:
- Aufrecht hinsetzen
- Augenkontakt
- Einfache verbale Anweisungen (Mund aufmachen, kauen, schlucken, usw.)
- An die Kau- und Schluckfähigkeiten angepasste Speisen und Getränke
- Sich Zeit nehmen