Ethik und Recht – künstliche Ernährung

Modifizierter Auszug aus dem Artikel: Kolb, C., & Sieber, G. (2013). Im Sinne und zum Wohle des Betroffenen: Künstliche Ernährung am Lebensende – ethische und rechtliche Aspekte. Pflegezeitschrift, 66(11), 672–675
Die Angst zusehen zu müssen wie Angehörige am Lebensende verhungern und verdursten, stellt die betreuenden Personen häufig vor emotionale Konflikte. Gerade dann, wenn die Ernährung über einen „lebensrettenden Schlauch“ unausweichlich scheint. Man wird mit der Frage nach dem Sinn einer künstlichen Ernährung konfrontiert. Soll ein betagter dementer, evtl. multimorbide und pflegeabhängiger Menschen, der nicht mehr im Kontakt mit seinen Liebsten scheint, „künstlich“ am Leben gehalten werden. Kann der Betroffene sich selbst nicht mehr zu seinen Vorstellungen und Wünschen äußern, bleibt die Entscheidung den betreuenden Personen überlassen, wie und ob ein mutmaßlicher Wille zu interpretieren sei. „Ich würde so etwas selber nicht mehr wollen“, „Ist ein solches Leben noch lebenswert“, „Man könne doch niemanden verhungern und verdursten lassen“, diese Gedanken schießen einem in den Kopf, wenn man ein „Urteil“ über Leben und Tod, PEG-Sonde ja oder nein, fällen muss.
Nahezu alle Stellungnahmen, Leitlinien und Broschüren empfehlen, dass nicht nur die gesetzlich legitimierten Vertreter (Arzt und Betreuer) an der Entscheidungsfindung beteiligt sein sollten, sondern das betreuende „Team“ sollte gemeinsam, möglichst im Konsens, wenn gewünscht durch eine externe Beratung, eine Entscheidung treffen.
Abbildung 1: Modelle des funktionalen Abbaus am Lebensende (Lunney 2003)

Abbildung 1: Modelle des funktionalen Abbaus am Lebensende (Lunney, 2003)

Gerade bei älteren Menschen neigt man dazu, den Verzicht, bzw. die Ablehnung von Nahrung und Flüssigkeit schnell als Aufgabe des Lebenswillens zu interpretieren und die Notwendigkeit einer therapiebedürftigen Ursache oder Erkrankung, wird außer Acht gelassen (Oehmichen et al. 2013). Ist doch der Übergang von „Therapie“ und „palliative Begleitung“ meist fließend und der Übergang nur schwer abgrenzbar (Abbildung 1, siehe Frailty). So kann die „Sterbephase“ Wochen, Monate, wenn sogar Jahre andauern. So gibt es gerade bei älteren Menschen keine eindeutige terminale Phase (Lunney, 2003). Gerade dies erschwert die Entscheidung, ob PEG-Sonde ja oder nein.
Auch wenn die Zahl der PEG-Sonden bei alten Menschen in Deutschland abzunehmen scheint (Becker & Hilbert 2010; Wirth et al. 2010), bleibt sie doch, wenn rechtzeitig und mit einem klaren Therapieziel implementiert, auch bei betagten Menschen eine legitime Option. Allerdings bedarf es immer einer medizinischen Indikation.

Welche Fragen müssen zuerst geklärt werden

Abbildung 2: Flussdiagramm als Entscheidungshilfe bei einwilligungsfähigen / einwilligungsunfähigen Personen, ob PEG-Sonde: ja oder nein? (Bayerisches Staatsministerium für Arbeit und Sozialordnung 2008)

Abbildung 2: Flussdiagramm als Entscheidungshilfe (Bayerisches Staatsministerium für Arbeit und Sozialordnung 2008)

Das Flussdiagramm aus dem Leitfaden des Bayerischen Landespflegeausschusses (Abbildung 2) illustriert eine mögliche standardisierte Vorgehensweise, wenn ein Patient/Bewohner oder Klient nicht mehr ausreichend Nahrung oral aufnehmen kann. So steht an erster Stelle die fundamentale Frage nach der medizinischen Indikation. Jede ärztliche Maßnahme bedarf der ärztlichen Indikation (Simon 2011). „Maßnahmen, die für den Patienten ohne therapeutischen Nutzen sind, oder deren fragliche Nutzen in keinem für den Arzt vertretbaren Verhältnis zu dem zu befürchtenden Schaden stehen, wird der Arzt erst gar nicht anbieten und auch dann nicht durchführen, wenn sie vom Patienten eingefordert werden“ (Simon 2011).

Sondenernährung bei Senioren, immer lebensverlängernd?

Gerade in der Anfangsphase von auftretenden Ernährungsproblemen zu wenig und in der Endphase der Erkrankung häufig zu viel Engagement und Aktionismus in Bezug auf die Ernährung gibt (Löser 2011). So wird generell die Verlaufsprognose bei rechtzeitiger Intervention mit einer Sondenernährung bei alten Menschen als positiv angesehen. Dies gilt jedoch nicht in terminalen Krankheitsstadien (Volkert et al. 2013). Jedoch ist der Übergang von lebenserhaltender Therapie zu palliativer Begleitung, meist kein eindeutig abgrenzbarer Zeitpunkt. So wird betont: „Die Entscheidung für oder gegen Sondenernährung soll individuell unter sorgfältiger Abwägung von erwarteten Nutzen und potentiellen Risiken getroffen werden (Volkert et al. 2013). Allerdings bei Personen mit ausgeprägter Gebrechlichkeit, die völlig abhängig, bettlägerig und kommunikationsunfähig sind, ein hohes Infektionsrisiko haben oder sich in der Endphase einer irreversiblen Erkrankung befinden, der ist der Nutzen einer Sondenernährung höchst fragwürdig (Volkert et al. 2013).
So zeigt sich in der Praxis häufig ein Phänomen: Wenn eine Sondenernährung einmal begonnen wurde, dass diese trotz fehlender Indikation und offensichtlichen Leidensweg nicht beendet wird. Trotz des moralischen Konflikts, eine einmal begonnene künstliche Ernährung wieder zu beenden nachempfunden werden kann, befreit dieser nicht von der Pflicht des Arztes eine einmal gestellte Indikation regelmäßig zu überprüfen und gegebenenfalls zu revidieren (Borasio et al. 2009; Volkert et al. 2013). Besonders dann, wenn sich Zustand des älteren Menschen auf ein sich immer näher rückendes Lebensende hinzu entwickeln scheint, gilt es die Indikation für eine Sondenernährung immer wieder kritisch zu hinterfragen, denn in den wenigsten Fällen kann eine Notwendigkeit in der letzten Lebensphase durchgängig angenommen werden (Oehmichen et al. 2013).

Künstliche Ernährung bei Menschen mit Demenz

Generell ist es immer noch erstaunlich, dass bei auftretenden Ernährungsproblemen häufig reflexartig die Notwendigkeit einer PEG-Sonde in Betracht gezogen wird, ohne andere ernährungstherapeutische Möglichkeiten in Erwägung zu ziehen, die da wären:
  • Beseitigung möglicher Ernährungshemmnisse (z. B. adäquate Behandlung akuter und chronischer Krankheiten, Zahnbehandlung, Schlucktraining, Schmerztherapie)
  • angenehme Essumgebung (z. B. Essen am Tisch in einem Esszimmer gemeinsam mit anderen, ruhige und entspannte Atmosphäre)
  • adäquate Pflegemaßnahmen (z. B. verbale Aufforderung, empathische Kommunikation)
  • Modifikation von Mahlzeiten und Lebensmitteln (z. B. Berücksichtigung persönlicher Vorlieben, zusätzliche Zwischenmahlzeiten, Fingerfood, Veränderung von Textur und Konsistenz von Speisen)
  • Anreicherung von Speisen und Gerichten (mit gehaltvollen Lebensmitteln wie Sahne, Butter, Öl oder mit Nährstoffkonzentraten wie Maltodextrin oder Proteinpulver) (Volkert et al. 2013).
Die aktuelle Leitlinie der DGEM betont, dass künstliche Ernährung über eine PEG-Sonde bei schwerer und fortgeschrittener Demenz generell nicht empfohlen werden kann. Während der Nutzen in einer früheren Krankheitsphase zur Überwindung von Krisensituation, in Erwägung gezogen werden kann, wird er für die terminale Phase, trotz fehlender Evidenz, als äußerst kritisch bewertet (Sampson et al. 2009; Volkert et al. 2013).

Abbruch von künstlicher Ernährung – aktives Tun oder natürliches Zulassen?

Grundsätzlich ist es das Grundrecht eines jeden Mensch, der aufgrund einer Erkrankung nicht mehr auf natürlichen Wege (oral) „essen“ und „trinken“ kann, auf künstlichem Weg ernährt zu werden. Doch wie ist der Abbruch von Sondenernährung (selbst bei bestehender Indikation) mit diesem Grundrecht vereinbar, ohne als aktives Tun, respektive aktive (verbotene) Sterbehilfe, bewertet zu werden?
Die Bundesärztekammer unterscheidet in ihren Grundsätzen zur ärztlichen Sterbebegleitung zwischen Basisbetreuung und medizinscher Behandlung (Bundesärztekammer 2011). Als Basisbetreuung gelten u. a. menschenwürdige Unterbringung, Zuwendung, Körperpflege, Lindern von Schmerzen, Atemnot und Übelkeit sowie Stillen von Hunger und Durst (Bundesärztekammer 2011). Der Begriff „Ernährung“ wird mit Absicht vermieden, da Hunger und Durst als subjektives Empfinden zu bewerten sind. In der Sterbephase können Empfindungen wie Hunger und Durst oft mit geringen Mengen an oraler Nahrungs- und Flüssigkeitszufuhr gestillt werden (Oehmichen et al. 2013). Die künstliche Ernährung wird folglich als medizinische Behandlung angesehen (Simon 2011; Bundesärztekammer 2011). Die Sondenernährung ist eine „künstliche“ Ernährung und stellt aus zweierlei Gründen eine medizinische Maßnahme dar:
  1. Sie verwendet zum einen industriell gefertigte Nahrung für bestimmte therapeutische Ziele in definierter Zusammensetzung und Zubereitungsform und zum anderen nutzt sie besondere Zugangswege (z.B. PEG)
  2. Sowohl die Art als auch der Zugangsweg künstlicher enteraler Ernährung haben jeweils eigene Risiken (Oehmichen et al. 2013).
Somit gelten für den Abbruch einer Sondenernährung, dieselben Prinzipien wie für den Beginn, bzw. dem Unterlassen einer solchen. Das Fortbestehen der medizinischen Rechtfertigung für eine künstliche Ernährung muss in regelmäßigen und dem Zustand angemessenen Abständen überprüft werden (Oehmichen et al. 2013). Nicht die Handlung per se, das Abstellen der künstlichen Ernährung, hat eine rechtliche Relevanz, sondern der individuelle Nutzen oder Schaden der „Behandlungsmaßnahme“ ist für die ethische Bewertung entscheidend. Somit ist es unwesentlich, ob eine medizinische Maßnahme durch Unterlassen oder aktives Eingreifen verhindert, bzw. beendet wird. Es geht lediglich darum die Unterlassung einer medizinischen Maßnahme zu realisieren, um somit der bestehenden Erkrankung ihren natürlichen Verlauf bis zum Tod folgen zu lassen. Somit ist der Abbruch der Sondenernährung kein aktives Töten sondern ein „Sterbenlassen“ (Nationaler Ethikrat 2006, S. 51).
Somit gilt, es gibt keine Verpflichtung zur bedarfsgerechten Ernährung über eine Sonde, weil diese als eine von dem Patienten ablehnbare medizinische Maßnahme definiert ist (Holtappels 2011). Bei fehlender Indikation oder fehlender Einwilligung muss Sondenernährung beendet werden. Hunger und Durst, als subjektive Empfinden müssen immer gestillt werden (Kolb & Hell 2010).

Ermittlung des Patientenwillens (Autonomie)

Neben der medizinischen Indikation ist der Patientenwille die zweite Säule einer jeden Entscheidung, für oder gegen künstliche Ernährung. So bedarf es neben der medizinischen Indikation auch der Einwilligung des Betroffenen zu dieser Maßnahme. Ist dieser einwilligungsfähig, kann er selbst entscheiden, ob er der künstlichen Ernährung (medizinischen Maßnahme) zustimmen möchte oder nicht. Um rechtswirksam einwilligen zu können, muss der Betroffene von dem Arzt darüber aufgeklärt werden (Holtappels 2011). Selbiges gilt für den einwilligungsunfähigen Menschen. Hier tritt als Gesprächspartner der Vertreter des Betroffenen (gesetzliche Betreuer oder mittels Vorsorgevollmacht beauftragte Bevollmächtigte) an dessen Stelle. Der gesetzliche Vertreter muss gemeinsam mit dem behandelten Arzt eine Entscheidung treffen, ob eine Sondenernährung über eine PEG-Sonde den Vorstellungen und Wünschen des Betroffenen in der aktuellen Situation entsprechen würde. Dabei ist es wieder unerheblich, ob die Sondenernährung unterlassen oder beendet werden soll. Eine Einwilligung für eine Sondenernährung muss nicht nur zu dem Zeitpunkt des Legens gegeben sein, sondern auch wenn diese bereits verabreicht wird. Neben der bereits angesprochen regelmäßigen Überprüfung der medizinischen Indikation, bedarf es auch der kontinuierlichen Überprüfung des Patientenwillens. Müsste die Zustimmung zur Sondenernährung eindeutig mit einem „Nein“ beantwortet werden, muss die Sondenernährung abgebrochen werden, selbst wenn dieser Abbruch zum Tode führen würde. Sonst wäre dies ein unerlaubter Eingriff in die körperliche Integrität und würde einer unzulässigen Zwangsbehandlung gleichzustellen (Holtappels 2011). Am 25.06.2010 hatte der Bundesgerichtshof eindeutig bestätigt, dass ein Behandlungsabbruch sowohl durch Unterlassen als auch durch aktives Tun vorgenommen werden kann (Putz & Gloor 2011). Zuvor hatte man das Durchschneiden eines PEG-Sondenschlauchs als aktive verbotene Sterbehilfe verurteilt. Somit hatte der BGH in diesem Urteil unmissverständlich expliziert, dass die Art und Weise der Beendigung nicht entscheidend ist für die rechtliche Bewertung, sondern eindeutig der Patientenwille.

Die Ermittlung des (mutmaßlichen) Patientenwillen

Abbildung 3: Patientenwille: Maßstab pflegerischen und medizinischen Handelns (Borasio et al. 2009,)

Abbildung 3: Patientenwille: Maßstab pflegerischen und medizinischen Handelns (Borasio et al. 2009)

Mit in Kraft treten des Patientenverfügungsgesetzes am 01.09.2009 gesetzlich festgelegt, dass eine Patientenverfügungen unabhängig von der Krankheitsphase und der individuellen Prognose, verbindlich und ist direkter Ausdruck des Patientenwillens (§ 1901 a Abs. 1 BGB). Sie ist für Ärzte und Pflegende verbindlich, sofern sie hinreichend konkrete Festlegungen für eine genau beschriebene Situation enthält. Ob die Patientenverfügung zutreffend ist muss in einem dialogischen Prozess zwischen dem Vertreter des Betroffenen und dem Arzt ermittelt werden. Nur bei Uneinigkeit über den Patientenwillen, bedarf es der Einbeziehung des Betreuungsgerichtes (§ 1904 BGB). Gibt es keine schriftlich verfasste Patientenverfügung muss der mutmaßliche Wille ermittelt werden (Abbildung 3). Bei der Ermittlung des mutmaßlichen Willens sollte hinterfragt, welche Äußerungen der Betroffene zu solchen oder ähnlichen Situationen früher gemacht habe, wie ähnliche Schicksale anderer Personen von ihm beurteilt wurden. Was war seine Lebenseinstellung, wie seine Wertvorstellungen, religiösen oder ethischen Anschauungen. Zum mutmaßlichen Willen zählen auch aktuelle „Willensbekundungen“, wie körpersprachliche Signale bei dementiell erkrankten Menschen im mittleren oder fortgeschrittenen Stadium der Erkrankung (Bickhardt 2010). Pflegekräfte sollten aus diesem Grunde bei der Ermittlung des mutmaßlichen Willens einbezogen werden, da sie meist diejenigen sind, die den Betroffenen, gerade in der ambulanten und stationären Pflege, jahrelang betreut und begleitet haben. Allein die Interpretation der Verhaltensweisen als Ausdruck von lebensbejahenden oder lebensablehnenden Gesten bedarf einer professionellen und selbstreflektierenden Empathie. Gibt es keinerlei Äußerungen oder Hinweise auf einen mutmaßlichen Willen und ist die Sondenernährung medizinisch indiziert, gilt der Grundsatz „in dubio pro vita“. Die Sondenernährung ist zum Wohle des Patienten durchzuführen.

Der „natürliche“ Wille bei Menschen mit Demenz

Eine Patientenverfügung oder antizipierte Willensäußerung kann jederzeit formlos widerrufen werden. Auch wenn mit dem Patientenverfügungsgesetz die rechtliche Vorgehensweise und Bedeutung von Patientenverfügungen eindeutiger geregelt wurden, gibt es immer noch Konstellationen über die auch weiterhin ethische Diskurse geführt werden müssen und deren rechtliche Bewertung nicht eindeutig ist. Eine davon ist die Interpretation von aktuellen Verhaltensweisen, „Willensäußerungen“ bei Menschen mit Demenz, der sogenannte „natürliche Wille“. Wie soll gehandelt werden, wenn ein Demenzkranker nicht mehr ausreichend isst und trinkt, eine PEG-Sonde immer abgelehnt hätte und aufgrund seines Verhaltens einen lebensbejahenden Eindruck macht? Bereits 2008, vor Einführung des Patientenverfügungsgesetzes, hat man darauf hingewiesen, dass es zwei Möglichkeiten gibt, wie aktuelle Verhaltensweisen im Entscheidungskontext, interpretiert werden können:
  1. Der in einer Patientenverfügung festgelegte Wille, der in einem Zustand der klaren Entscheidungsfähigkeit getroffen wurde, hat eine bindende Wirkung für einen späteren Zeitpunkt, auch wenn die aktuelle Verhaltensweise vermuten lässt, dass der Wille sich geändert habe.
  2. Die Patientenverfügung hat lediglich Rechtsbeachtlichkeit, da durch eine Demenz sich die Persönlichkeit eines Menschen verändern würde, und die aktuelle Willensbekundung und Wohlstimmung Vorrang hat bei der Entscheidungsfindung (Wunder 2008).
Andere stellen dagegen fest, dass Äußerungen eines „natürlichen Willens“ als Willensäußerungen ethisch nicht gleichrangig mit autonomen Willenshandlungen angesehen werden können, wie die Erstellung einer Patientenverfügung zu einem Zeitpunkt voller Einsichtsfähigkeit (Jox 2014). Als Kompromiss und als ethisch plausibelste Lösung wird empfohlen, dass der Betroffene selbst die Priorität vorgibt und die Verbindlichkeit seiner Patientenverfügung bestimmt. Ansonsten bedarf es einer individuellen Lösung auf der Grundlage einer gemeinsamen Entscheidungsfindung aller Beteiligten (Simon 2011).
Ob der Versuch eine PEG-Sonde herauszuziehen, als Willensäußerung, Ablehnung der Sondenernährung oder Entfernen eines störenden Gegenstandes, zu interpretieren sei, bleibt denjenigen Überlassen die den Menschen betreuen (Oehmichen et al. 2013). Nur besteht die Gefahr, dass die Interpretation von eigenen Wertvorstellungen geprägt ist und der ursprüngliche Patientenwille zunehmend in der Hintergrund rückt.

Zusammenfassung

Nicht jede künstliche Ernährung am Lebensende von alten Menschen ist verwerflich und selbst der Begriff „pflegerleichternde Maßnahme“ muss neutral betrachtet nicht aus niederen Beweggründen erfolgen. Die Leitlinie der DGEM stellt erstmals fest, dass eine Entlastung durch eine weniger zeitaufwendige Ernährung die Situation entspannen kann und zumindest die Sorge um eine ausreichende Ernährung den pflegerischen Alltag nicht mehr unangemessen belastet (Oehmichen et al. 2013). Dies darf jedoch nur unter folgenden Voraussetzungen passieren:
  • Alle anderen Möglichkeiten zu einer bedarfsgerechten natürlichen Nahrungsaufnahme sind ausgeschöpft.
  • Es liegt ein klares therapeutisches Ziel und eine medizinische Indikation vor.
  • Die Ernährungssonde wird supportiv eingesetzt.
  • Es ist ein Nutzen für den betroffenen Patienten selbst absehbar, weil die eingesparte Zeit für den Betroffenen eingesetzt und so bspw. eine Versorgung im eigenen Zuhause ermöglicht wird.
Abbildung 4: Entscheidungsmodell zur Evaluation einer PEG-Ernährung bei fortgeschrittener Demenz (Synofzik 2007)

Abbildung 4: Entscheidungsmodell zur Evaluation einer PEG-Ernährung bei fortgeschrittener Demenz (Synofzik 2007)

Künstliche Ernährung ist eine Option, für die es bei betagten nicht einwilligungsfähigen Menschen selten eine eindeutige Sachlage gibt. Es sollte immer ein klares Therapieziel definiert werden um zu prüfen, ob dieses mit einer künstlichen Ernährung erreicht werden kann (Borasio et al. 2009). Es ist meist ein Abwägen zwischen dem Nutzen und dem Schaden den eine solche Maßnahme für den Patienten mit sich bringt. Überwiegt der Nutzen einer Sondenernährung für den Betroffenen, sollte diese dem Betreuer angeboten werden (Abbildung 4) (Synofzik 2007). Wird nach Durchführung der künstlichen Ernährung absehbar, dass das einst festgelegte Ziel nicht erreicht werden kann, dann ist nicht die Frage nach der Legitimität eines Abbruchs für die weitere Vorgehensweise entscheidend, sondern der Wille des Betroffenen und die fehlende medizinische Indikation.
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