Ernährungssituation im häuslichen Umfeld: Eine Mixed Methods Research Studie
Demenz Ernährungsprobleme erkennen im häuslichen Bereich
Gemeinsam mit meiner Kollegin Frau Dr. Gabrielle Sieber habe wir eine quantitative und qualitative Studie im häuslichen Bereich von Menschen mit Demenz durchgeführt, die von Angehörigen betreut werden. Einige Ergebnisse wurden bereits veröffentlicht.
Zusammenfassung:
Hintergrund: Personen mit Demenz (PmD) können schon früh im Verlauf der Erkrankung von diversen Problemen bei der Ernährungsversorgung, einem ungewollten Gewichtsverlust, einer Mangelernährung betroffen sein. Eine zentrale Aufgabe in der täglichen Betreuung von PmD ist es, eine bedarfs- und bedürfnis-orientierte Ernährung in den verschiedenen Krankheitsstadien zu gewährleisten. Dies kann sowohl für die demenzkranke wie auch für die pflegende Person zur täglichen Herausforderung werden. Die Problematik ist im Langzeitpflegebereich gut erforscht, für das häusliche Umfeld fehlen jedoch wissenschaftliche Daten. Das Forschungsprojekt hatte deshalb zum Ziel, die Ernährungssituation von zu Hause lebenden demenzkranken Personen und deren pflegenden Angehörigen (PA) im Kontext der Pflege- und Belastungssituation zu untersuchen. Methode: Im Rahmen eines Mixed Methods Research Designs wurde bei einer Gelegenheitsstichprobe von 67 Dyaden, (PmD [80.3±7.1 J.; 22% leichte, 45% moderate, 28% schwere kognitive Beeinträchtigung]; PA [66.6±12.5 J.; 48% geringe, 30% mäßige, 22% schwere Pflegebelastung]) eine standardisierte Befragung durchgeführt, gefolgt von qualitativen Interviews mit 12 ausgewählten PA. Die Auswertung erfolgte überwiegend mittels deskriptiver und schließender Statistik. Die 12 Interviews wurden mit der qualitativen, zusammenfassenden Inhaltsanalyse nach Mayring, induktiv ausgewertet. Ergebnisse: PmD. Laut MNA®-LF wurde bei 49% ein Risiko für Mangelernährung (ME), bei 30% eine ME festgestellt; 11% hatten einen BMI < 20 kg/m2. Es zeigte sich eine signifikante Verschlechterung des Ernährungszustands von der Gruppe mit leichter bis zur Gruppe mit schwerer Demenz. Entgegen unserer Erwartung bestand kein Zusammenhang zwischen der Ernährungssituation (gemessen mit MNA®-LF) der PmD und der Pflegebelastung (gemessen mit HPS) der PA. Ein zusätzlich häufiges Problem waren Sturzereignisse mit einer Prävalenz von 50% innerhalb von zwölf Monaten. PA. PA ≥ 65 J. (n=41): 12% hatten ein Risiko für ME, 2% eine ME; bei einer Pflegenden war der BMI < 20 kg/m2. Laut den „frailty“-Kriterien von Fried waren 10% „frail“, 51% „prefrail“. PA < 65 J. (n=26): 35% hatten einen BMI zwischen 25 bis 30 kg/m2 (Präadipositas), 35% einen BMI > 30 kg/m2 (Adipositas). PA gesamt (n=67): 91% waren der Meinung „dass die Person mit Demenz ausreichend isst”; 80% berichteten über keine bis geringe Kenntnisse zum Thema „Ernährung bei Demenz“ zu verfügen; 58% äußerten, dass kein Informationsbedarf zum Thema „Ernährung bei Demenz“ bestehe. Erfahrungen der PA: In welcher Weise und Richtung die Veränderungen sich im Kontext der Ernährung manifestieren würden, konnten die PA nicht antizipieren. Entsprechend war es für sie schwierig, solche rechtzeitig wahrzunehmen und als kritisch zu bewerten. Sie standen somit unvorbereitet vor der neuen Situation, die sie auf unterschiedliche Weise nicht nur physisch, sondern auch psychisch belastete.
Mitzuerleben, wie die PmD die basalen Handlungen des Essens und Trinkens mehr und mehr verlernten, erregte bei den PA ein breites Spektrum von Emotionen wie Erschrecken und Entsetzen, Hilflosigkeit und Ängste, Trauer und Hoffnungslosigkeit. Eine bestimmte Esskultur aufrechterhalten brachte die PA immer wieder an ihre Grenzen und alle berichteten, dass es schwer war, während der Essenssituationen aufkeimende innere Unruhe, Ekelgefühle, Zorn und Wut unter Kontrolle zu halten. Die Unterstützung kam oft einer Gratwanderung zwischen dem Fördern der verbliebenen Ressourcen und dem vorsorgenden Verhindern von unerwünschten Folgen gleich, und für die Gestaltung der Mahlzeiten ergab sich eine Vielzahl von Bewältigungsstrategien: „Impulsgeben und Handreichen”, „Die Sorge um das richtige Maß”, „Selbständiges Essen und Trinken fördern und vorsorgend verhindern”, „Besorgt um gutes Benehmen”, „Mahl-Zeiten gestalten”, „Kochen mit (Leidens-) Druck“. Der Verlust der wesentlichen Facetten der Esskultur, wird sowohl innerhalb der eigenen vier Wände wie auch in der Öffentlichkeit zu einer Belastung. Das Ringen um eine angepasste Ernährung ist zeitgleich auch ein Ringen um Genuss, um zwischenmenschliche Beziehung und letztlich um ein gutes Stück Lebensqualität. Schlussfolgerungen: Die Studie zeigt auf, dass die Ernährung bei Demenz ein physisches, soziales und kulturelles Problem darstellt und mit belastenden Auswirkungen (Mangelernährung, Sturzereignisse, „frailty“ und Adipositas) auf weitere Lebensbereiche einhergeht: Gesundheit, Bewegung und soziale Teilhabe. Strategien sind nötig, um Probleme innerhalb dieser Handlungsfelder frühzeitig zu erkennen und die Betroffenen mit entsprechenden Programmen während dem Krankheitsverlauf zu unterstützen. Die größte Herausforderung wird wohl sein, Strukturen zu entwickeln, die ein leibliches Wohl mit einem Wohlsein in Gesellschaft vernetzt, und dies sowohl in den eigenen vier Wänden als auch außer Haus.
Die Dissertation ist an der Universität Osnabrück einsehbar.
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